Israeldebatte nach Piratenart

Nach dem Einzug in mittlerweile vier Landtage können die Piraten immer noch nicht auf ein ausgereiftes Programm schauen. Sie haben zwar eine tolle Idee, die Transparenz und eine umstrittene, das neue Urheberrecht und wurden eine Zeit lang von der fantastischen Marina Weisband in den Medien vertreten, ebenso vom humorvollen und sehr unterhaltsamen Christopher Lauer. Aber Politik ist mehr, als bei Markus Lanz zu brillieren. Und so versuchte ich, eine Israel-Debatte im offiziellen Piratenforum anzustoßen.

In der Piratenpartei kann man online sogenannte Arbeitsgruppen gründen, die sich mit politischen, organisatorischen oder dienstleistenden Dingen beschäftigen. Beispiele sind AG Wirtschaft, AG Parteikommunikation und AG Website. Ich wollte (und will vielleicht immer noch) eine politische Arbeitsgruppe mit dem Namen AG Nahostpolitik gründen, die sich mit den Konflikten rund um Israel, Palästina und Iran befassen sollte. Also schlug ich das in zwei Threads im offiziellen Piratenforum vor.

Den einen Thread finden Sie im öffentlichen Bereich unter „politische Diskussionen“, den anderen im Bereich „Diskussion“ unter Allgemein, wo Sie im Forum angemeldet sein müssen.

Zunächst florierte der erste Thread, der aber nach einiger Zeit geschlossen wurde, da er nicht in die Kategorie „politische Diskussionen“ gehörte. Was sich allerdings bis zur Schließung abspielte, ist durchaus erwähnenswert.

Als bekennender Liberaler beschloss ich, mir die Piratenpartei anzuschauen, was vor allem zwei Gründe hatte. Zunächst faszinierte mich der Transparenzgedanke, den ich liberal, ja fast libertär deute. Für mich bedeutet transparenter Staat so viel wie weniger Staat und das ließ innerlich alle Glocken läuten. Das andere war die Romantik jeder jungen Bewegung. Ich schloss mich den Piraten nicht wegen der Urheberrechtsdebatte an und auch nicht aus Protest. Viel eher kam ich als Beobachter im Dienste der liberalen Sache, die ich nie einer Partei zuordnen wurde.

Ebenso skeptisch, aber auch etwas hoffnungsvoll erstellte ich meinen Thread zur Gründung einer Arbeitsgruppe Nahostpolitik. Unter anderem fanden sich diese beiden Sätze in meinem Aufruf zum Mitmachen:

„Ebenfalls lade ich explizit alle Extremisten AUS, sich der ARBEITSgruppe anzuschließen. […] Der Nahostkonflikt steht oft im Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit und verlangt eine Erwähnung im Piratenprogramm. Es soll keine Handlungsanleitung für die Beteiligten erstellt werden, sondern lediglich eine Positionierung; differenziert und aller Schwierigkeiten bewusst.“

Damit wollte ich bezwecken, die alltäglichen facebook- und Forendiskussionen zu vermeiden. Mein Ziel war es, Leute anzusprechen, die ohne Hass und Schuldkomplexe durchs Leben schreiten und Interesse daran haben, die deutsche Rolle im Nahostkonflikt vernünftig zu formulieren.

Ich hinterließ also meinen Beitrag, indem ich Interesse an einer solchen Gruppe bekundete und wartete.

Exakt eine Stunde später antwortete ein gewisser „Banken-Enteigner“. Bevor ich den Beitrag las, lies ich mir den Namen durch den Kopf gehen. Links, dachte ich. Vielleicht sehr links. Aber warum nicht, immerhin gibt es in Frankfurt ganz tolle linke Zionisten. Im ersten Satz  sprach sich Banken-Enteigner für eine Forcierung der Zwei-Staaten-Lösung aus. Nichts besonderes, ich las weiter. Israel solle seine atomaren Sprengköpfe unter internationale Kontrolle stellen. Israels Atomsprengköpfe stellen zwar keinerlei Bedrohung für niemanden dar, aber diese Forderung illegitim zu nennen wäre falsch. Im dritten Satz wurde ich endlich umgehauen. Falls Israel sich weigere, seine Atomwaffen unter internationale Kontrolle zu stellen, so Banken-Enteigner, solle der palästinensische Staat ebenfalls atomar bewaffnet werden. Einerseits war es schockierend, andererseits zum Schreien komisch. Ich leite ab: Wenn der Iran Atomwaffen hat, werden alle umliegenden und bedrohten Staaten umgehend atomar bewaffnet. Aber nebenbei: Das atomfreie Deutschland soll Palästina atomar bewaffnen?

Nach einer Erwiderung meinerseits „relativierte“ Banken-Enteigner seine Forderung und plädierte nur noch dafür, den Palästinensern die Nuklearwaffen leihweise zu übergeben. Auch das erwiderte ich und Banken-Enteigner konterte umgehend. Ich komme nicht umhin, seinen Beitrag hier unterzubringen.

Dies war jedoch nicht der letzte Fausthieb. Kurz darauf schaltete sich „chamsi“ ins Gespräch ein und bekräftigte die Existenz einer guten, israelischen Friedensbewegung, die jedoch von den Medien totgeschwiegenen (von jüdischen Medien?). Die ersten Namen, die chamsi nannte, waren Alfred Grosser sowie Daniel Barenboim. Jeder, der sich dem Konflikt beschäftigt, fällt beim Lesen dieser Namen automatisch vom Stuhl. Obligatorisch widersprach Banken-Enteigner; diese Namen seien nicht die einzigen, die gehört würden. Es gebe auch noch Norman Finkelstein.

Chamsi gab nicht auf und nannte prompt Namen weiterer Helden im Dienste des Friedens und der Menschlichkeit: Günter Grass, Noam Chomsky, Gideon Levy, Amira Hass. Kann man hier schon von Einseitigkeit sprechen?

Kurz darauf wurde der Thread geschlossen und die immer turbulenter werdende Diskussion in die Rubrik „Allgemein“ verschoben, für die Sie sich jedoch nur im Forum registrieren müssen.  Was ich da zu hören bekam, lässt sich nur schwer mit gesundem Menschenverstand vergleichen. Natürlich fielen altbekannte Namen wie B’Tselem und Breaking the Silence. Natürlich sprach man über die israelische Regierung als Kriegsverbrecher von Tel Aviv. Überraschender war schon der Ratschlag, auf den Nahostexperten und Friedenskämpfer Hassan Nasrallah – den Chef der islamistischen und militaristischen Hisbollah – zu hören, der genau wisse, wie man mit Israel umzugehen habe. Ab besten solle man das „drecksterroristenzeug“ plattmachen. Natürlich wurde ich auch als „paid troll“ von der israelichen Botschaft bezeichnet, sozusagen um ultrazionistische Positionen zu propagieren. Schön wärs.

Es ist schon traurig genug, dass man zu fast all diesen Argumenten „natürlich“ sagt. Aber warum zur Hölle verabschiedet eine Partei einen Antrag gegen die Holocaustleugnung, wenn sie die Nahostdebatte in die Hände heftigster Antisemiten legt?

Oder heißt es, dass man nur gegen vergangenen Antisemitismus ist, aber am gegenwärtigen nichts auszusetzen hat?  Der Piratenpartei steht eine (sehr berechtigte) Antisemitismus-Debatte bevor, die härter wird, als all die lustigen Nazivergleiche. Wenn ein Pirat in einem Parlament erstmals von der atomaren Aufrüstung Palästinas spricht oder von der Terroristenbande aus Tel Aviv, wird ein Ruck durch die Partei gehen. Damit dieser Ruck nicht noch mehr verkappte NPD’ler ins Boot holt, müssen Piraten auf Führungsebene endlich eingreifen.

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12 Antworten zu Israeldebatte nach Piratenart

  1. Don Furioso schreibt:

    Das stimmt mich nicht zuversichtlich. Es frustriert mich immerwieder zu sehen, wie alle Wohlmeinenden eine sehr zentrale Frage vermeiden:
    Was sollte auf einer Agenda für Friedensverhandlungen zuerst stehen:
    a) Anerkennung der Existenz Israels vor jeder Diskussion um Grenzverlauf oder Bürgerrechte
    b) Umgekehrt, zuerst (endlose) Diskussion über Grenzverlauf und Bürgerrechte, hoffend, das wenn alle glücklich und zufrieden sind (u.U. nie!), die Existenz Israels (gnädigerweise) von allen stillschweigend akzeptiert wird.
    Vielleicht noch eine Bonusfrage: Glaubt ihr an die Existenz von „Maulhelden“, also Staatsoberhäupten, die mit Vernichtung drohen, es aber nich so meinen? Wenn ja, wie sollte man mit ihnen umgehen?

    Ich fürchte, dass viele für b) stimmen würden, aber immerhin hätte man etwas mehr Klarheit. Vielleicht würde es auch in einigen Köpfen Klarheit schaffen, wenn man die Frage
    so hart stellen würde.

    • Alien schreibt:

      In der Hoffnung, dass das nicht wieder in eine gegenseitige „Du bist Schuld, du hast keine Ahnung“-Orgie abdriftet, hier mein Kommentar:

      Wer müsste denn die Existenz Israels anerkennen. Denn soweit ich weiß, tun das viele. Abbas, der Palästinenserpräsident zum Beispiel. Also eine wichtige Person in diesem Spiel.
      Was spricht also gegen Friedensverhandlungen? Dass es Menschen gibt, die Israel nicht anerkennen?

      • Natriumglutamat schreibt:

        Der verlinkte Artikel ist im Herbst 2006 erschienen, also bereits knapp sechs Jahre alt. Bis heute existieren aber weder die in dem Artikel besprochene Einheitsregierung aus Fatah und Hamas (obwohl es jüngst im Februar 2012 zur gefühlt zwanzigsten Einigung gekommen sein soll — wir werden noch sehen, wie tragfähig das dieses Mal ist), noch die im Artikel angesprochene Anerkennung des Existenzrechts Israels als Staat des jüdischen Volkes. Der Artikel erwähnt zudem den Briefwechsel zwischen Rabin und Arafat, in welchem Arafat die Anerkennung Israels in Aussicht gestellt hatte. Es gibt auch einen Beschluss der palästinensischen Nationalversammlung zur diesbezüglichen Änderung der palästinensischen Nationalcharta. Aber obwohl dies bereits vor fünfzehn (15!) Jahren beschlossen wurde, ist die Nationalcharta immer noch nicht geändert worden und wird palästinensischen Schulkindern bis heute immer noch eingetrichtert, Tel Aviv befinde sich auf besetztem Gebiet, das in Wirklichkeit den palästinensischen Arabern gehöre.

        Nur so ein Tipp: nicht immer jedem Zeitungsartikel und den schönen Worten glauben, sondern besser mal hinschauen, was tatsächlich passiert (und, in welchen zeitlichen Horizonten Angekündigtes dann auch wirklich mal passiert).

        Filip: aus gegebenem Anlass sei der Hinweis erlaubt, dass diese Frau „chamsi“ schon seit Jahren die Kommentarsektion der Online-Ausgaben verschiedener Zeitungen und Magazine mit israelfeindlichen, oft die Grenze zum Antisemitismus überschreitenden Kommentaren vollspammt. Schlussfolgernd aus der Frequenz ihrer Beiträge scheint dies, neben ihrer Azawakh-Hündin „chamsi“, dann auch der ganze Lebensinhalt dieser „Dame“ zu sein.

  2. Micha schreibt:

    Also mit einem Wort: es gab im „Liquid“ keinen einzigen ernsthaften, positiven Bezug auf Dein Anliegen, einen Standort zur Nahost-Politik zu finden? Bezeichnend, in Wirklichkeit interessiert das Thema die Piraten gar nicht. Mit Bernd Schlömer wirds mE auch nicht besser, wenn ich da an das unsägliche Interview bei SPON denke, wo er bekundet, keine „Meinung zu Israel“ bis zur Bundestagswahl zu brauchen und unverblümt zuzugestehen, daß sich diese Haltung beim Wähler lohnen wird.

  3. Alien schreibt:

    Die Diskussion war tatsächlich sehr abstrus.

    „Israels Atomsprengköpfe stellen zwar keinerlei Bedrohung für niemanden dar, aber diese Forderung illegitim zu nennen wäre falsch.“

    Hier lehnst du dich dafür weit aus dem Fenster. Erklärung bitte? Seit wann stellen Atomsprengköpfe für niemanden eine Gefahr dar?

    • filipppiatov schreibt:

      Israels Atomwaffen dienen lediglich der Abschreckung. Deswegen stellen sie für niemanden eine Gefahr dar. Außer es entschließt sich jemand zum atomaren Erstschlag gegen Israel, aber ist doch sehr unrealistisch.

      • Alien schreibt:

        Ist das nicht unlogisch?

        Sie dienen „nur“ der Abschreckung. Würde Israel tatsächlich niemals die Atomwaffen zünden, dann wären sie keine Abschreckung.
        Würde sie sie im Zweitschlag anwenden, bringen sie auch nichts mehr, denn dann ist Israel schon kaputt, was bringen dann noch ein paar Millionen Tote mehr z.B. im Iran oder sonstwo?

        Die „mutually assured destruction“ ist mad (verrückt). Denn sie basiert auf Vernunft. Wenn aber Diktatoren nicht vernünftig sind, bringt diese verrückte mad-Strategie nur Tod und Zerstörung.

  4. filipppiatov schreibt:

    Genauso, wie Atombomben den Kalten Krieg kalt ließen, sichern sie auch die Existenz Israels. Zu einem Erstschlag auf Israel wird es nicht kommen. Und falls doch, dann wäre es sehr falsch, Israel für den Besitz von Atomwaffen zu rügen.

  5. heinz schreibt:

    Das Problem bei deinem sehr berechtigten Anliegen ist leider, dass du bewusst Extremisten auslädst. Das impliziert (zumindest für mich, hoffe ich habe mich nicht verlesen), dass du Antisemitismus (darum gehts doch, ne?) vor allem als Problem der politischen Ränder verstehst. Jedoch sieht man gerade am Beispiel der Piraten – die sich so unglaublich postpolitisch und pseudo-unideologisch gerieren – dass AS vor allem ein Problem der gesellschaftlichen Mitte, die sich selbst als verfassungstreu, brav, bieder und politisch korrekt versteht, ist. Vor allem ist der sublime AS, der aus dieser Mitte der Gesellschaft kommt viel gefährlicher, da sich AS von Glatzen oder Salafisten schon alleine durch die äussernden Personen diskreditiert.

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