Die hübsche Stimme der Vernunft

Präsent in der russischen Politik, reich, schön, blond. Und ist die Rede keinesfalls von Wladimir Putin. Ich spreche von der ehemaligen TV-Diva und Millionärstochter Xenia Sobtschak, die seit Monaten dabei ist, zum umstrittenen Sternchen der russischen Opposition aufzusteigen. Vor einigen Jahren moderierte sie noch schlüpfrige Fernsehshows und fiel der Öffentlichkeit durch Nacktbilder und kleinere Skandale auf. Doch seit den „umstrittenen“ Duma-Wahlen im Dezember letzten Jahres engagiert sie sich offen gegen den Präsidenten; den Mann, der bei ihrem Vater viel politisches Handwerk lernte und bestens mit ihm befreundet war.

Xenias Vater, Anatoli Sobtschak war der erste demokratisch gewählte Bürgermeister St. Petersburgs. Sobtschak war nicht nur kompetent und beliebt, sondern auch noch der Mentor Wladimir Putins. Beide verdanken einander viel. Zum Schluss war es Sobtschak, der in Putins Schuld stand.

Umso überraschender, dass die Tochter des Mannes, bei dessen Beerdigung Putin weinte, sich der Opposition anschließt. Anfangs wusste man nicht, wie ernst es ihr war und ob sie mehr im Kopf hatte, als ihre hirnlosen TV-Shows es vermuten ließen. Es war, als ginge Paris Hilton in die Politik.

Sie fing an zu bloggen, besuchte oppositionelle Talkshows und beteiligte sich an den ersten Demonstrationen. Und dann sprach sie von einer Dankbarkeit gegenüber Putin, für ihren Vater. Vielleicht zeugte es lediglich von ihrer Unerfahrenheit, doch die Opposition wurde misstrauisch. Zwar durfte sie immer noch auf der Bühne stehen, doch die Massen pfiffen sie aus und machten sich im Internet über sie lustig. Manche sprachen von einem doppelten Spiel und attestierten Sobtschak geheime Regimetreue. Doch sie machte weiter und schaffte es am Tag der Präsidentschaftswahlen, sich vollständig zu rehabilitieren.

Als einzige Wahlbeobachterin sorgte sie für einen ordentlichen Betrugsskandal.  Sobtschak traf eine junge Russin, die von Unbekannten telefonisch dazu aufgefordert wurde, mehrmals für die Partei Putins zu stimmen. Das Skandalöse war hierbei nicht nur der Telefonanruf (und das dazugehörige Geldangebot), sondern die schiere Möglichkeit, völlig legal mehrere Stimmen abgeben zu dürfen. Durch eine rechtzeitige Anmeldung erhielt man das Recht, in einem fremden Wahlbezirk wählen zu können. Doch nicht in einem fremden Wahlbezirk, sondern in Jedem. Sobtschak begleitete die junge Frau zu mehreren Wahlbezirken und ging danach mit ihr zu Wladimir Tschurow, dem Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission und dem Mann hinter den Wahlbetrügen. Sobtschak war wieder zurück und Tschurow avancierte noch mehr zum Antihelden der Demonstrationen.

All das war im April und nun befindet man sich in einer anderen, entscheidenderen Phase des Widerstandes. Es wird konkret, das heißt, es muss konkreter werden. Es wird seriös, das heißt, es muss seröser werden. Tatkräftige Menschen kommen an die Spitze der Bewegung, das heißt, sie müssen es.

Demnächst finden Oppositionswahlen statt. Die an den Demonstrationen beteiligten Parteien und Bewegungen werden online über die personelle Zukunft abstimmen lassen. Es mag Sie überraschen, dass die russische Opposition plötzlich einen Schritt in die richtige Richtung unternimmt, aber so ist es. Dennoch besteht diese Gegnerschaft des Präsidenten immer noch aus vielen hoffnungslosen Träumern, unter denen sogar eine Xenia Sobtschak positiv auffällt.

Das tut sie nicht mit hervorstechender Intelligenz oder weitreichendem Politikverständnis, sondern lediglich mit etwas rationalem Verhalten und westlichem Denken. Erst neulich saß sie bei einem Doppelinterview mit einem oppositionell gesinnten Schriftsteller.  Der Schriftsteller, ein alter russischer Jude, wurde gefragt, ob er sich nicht für ein Amt beim obersten Oppositionsrat bewerben würde. Nein, sagte er, wie selbstverständlich. Nie würde er sich in staatliche Strukturen zwängen wollen, das sei schon seit Sowjetzeiten nicht sein Ding. Kurz darauf legte er nach. Man dürfe nicht mit Putin verhandeln, wie man auch nicht mit Terroristen verhandle. Er erkenne Putin nicht als Machthaber an und verweigere jeglichen Dialog.

Eine urrussische Haltung. Den Machthaber nicht anzuerkennen, jedoch selbst nichts mehr zu fürchten, als diese Machtposition innezuhaben.  Was aus dieser Haltung folgt, ist sehr simpel: Das Bedürfnis, ewig in der Opposition zu sitzen. Ganz Recht, das Bedürfnis. Dieser Schriftsteller mag ein großer Menschenfreund sein, aber seine politisch-gesellschaftliche Einstellung ist einer der Grundsteine für Russlands Ruin. Er wählt zwar den Weg des Widerstandes, aber den des Geringsten. Den Weg, der ihn und Russland in der ewigen Opposition halten wird; gemütlich, romantisch und leidenschaftlich rebellisch.

Das machte mir nichts, ich bin es gewohnt. Seit meiner frühen Kindheit schaue ich Oppositionsfernsehen und habe bereits alle Stufen der Euphorie durchlebt, bis ich beim Realismus ankam. Doch nun sprach das ehemalige Sternchen des russischen Unterschichts-Fernsehens, das verwöhnte Blondchen Xenia Sobtschak.

Sie erzählte von den anstehenden Oppositionswahlen, kritisierte die undemokratischen Elemente an ihr, erläuterte den Unterschied zwischen Politikern und Aktivisten. Alles war sinnvoll und rational, nicht hervorragend oder erleuchtend, aber angenehm intelligent.

Schließlich bekam auch sie ihre große Frage. Es ging um die Schwierigkeiten der obersten Oppositionsführer, die Massen hinter sich zu vereinen und einen möglichen Kurswechsel durchzuziehen. Sobtschak erklärte.

Es sei für diese Politiker schwer, von ihren radikalen, polarisierenden Slogans wie „Neuwahlen sofort“ und „Russland ohne Putin“ abzusehen, ohne sofort als Feiglinge beschuldigt zu werden. So kämen sie in ein Dilemma zwischen Populismus und Realpolitik. Das wiederum entwickle sich nicht nur zum Problem der Opposition, sondern auch zu dem der Regierung. Diese könne nun nicht mehr glaubhaft auf Dialog setzen (jeder Dialog ist ein Erfolg), ohne das Gesicht wegen der klar revolutionären Slogans zu verlieren. Darum sollte die Opposition ihre staatsumwälzenden Parolen beiseitelegen und sich auf bevorstehende Regionalwahlen konzentrieren, um sowohl der Gesellschaft, als auch der Regierung eine Plattform zu bieten. Die Regionalwahlen würden sicherlich manipuliert werden, aber dennoch sollten sich die demokratischen Organisationen wieder zusammenschließen und auf rechtsstaatlichem und gemäßigtem Wege anfangen, der Opposition zu fairen Wahlergebnissen zu verhelfen.

So sprach Xenia Sobtschak, 31 Jahre alt. Weder Schriftstellerin, noch Schachweltmeisterin oder Publizistin. Man darf hoffen, dass westlich denkende, junge Menschen  die Opposition führen werden. Ohne Radikalismus, der in Russland nie zu Gutem führt. Ohne ewig gleiche Demonstrationen, die Russen mehr langweiligen, als das Regime selbst.

Über filipppiatov

Welcome! Check out my new blog www.gdlf.me It's for everyone who's into entrepreneurship, social media and food.
Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar